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Die Zerstörung der Eberbacher Synagoge


Von jüdischen Leben blieb nur ein Stein

Reichspogromnacht vor 75 Jahren in Eberbach: Geschäfte wurden zerstört, die Synagoge niedergebrannt - Gesetzesstein in den Neckar geworfen

Die Eberbacher Synagoge bei der Neckarbrücke. Auf dem Dachfirst der Gesetzesstein.

November 2013
Von Rainer Hofmeyer

In der „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 wurden auch in Eberbach jüdische Geschäfte zerstört, die Synagoge in der Brückenstraße wurde angezündet und brannte vollständig nieder. Der Gesetzesstein vom Giebel des zerstörten Gotteshauses ist 1978 im Neckar gefunden worden.

Übrig geblieben ist nur ein vom Neckar gänzlich verwaschener Stein. Mit Mühe kann man erkennen, dass er einst zwei Flügel einer jüdischen Gesetzestafel darstellte. Die zehn Gebote des israelitischen Glaubens. Der rote Sandstein ist ein zufällig wieder aufgetauchtes Zeichen gegen das Vergessen, authentischer als alle anderen Mahnmale. Er ragte früher aus dem Giebel der kleinen Eberbacher Synagoge in den Himmel und fiel im Feuersturm der Nazis in den Brandschutt. Heute symbolisiert er den kläglichen Rest eines jüdischen Traums, den eines friedlichen Zusammenlebens und eines eigenen Gotteshauses in Eberbach.

Die im September 1913 mit Stolz und Freude eingeweihte Synagoge war nur 25 Jahre unter dem Schutz der Eberbacher gestanden, den der damals amtierende Bürgermeister John Gustav Weiss den Juden zugesagt hatte. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wendete nämlich auch in Eberbach das Blatt von einem friedlichen Beisammensein zu Ausgrenzung und Hetze. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 schlugen die Nazis und ihre Anhänger reichsweit jüdische Geschäfte zu Bruch, wurden Synagogen angezündet. Die „Reichskristallnacht“ eskalierte auch in Eberbach. Jüdische Läden in der Altstadt wurden demoliert, die Synagoge in der Brückenstraße bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

Es war nicht die von der Propaganda später behauptete spontane Aktivität einer aufgebrachten Eberbacher Bevölkerung, wohl aber gab es auch Beifall aus der dabeistehenden Menge. Von SS- und Gestapo-Führung war alles gezielt vorbereitet worden. Die Eberbacher Ortsgruppe 12/33 der SS bekam den Befehl aus Heidelberg, die Schaufenster der jüdischen Kaufleute einzuschlagen und das kleine Gotteshaus zu zerstören. Zwei Trupps von SS-Leuten wüteten in der Stadt. Sie trugen alle Zivil - es sollte nach blanker Volkswut aussehen. Einige männliche Juden wurden bei der Aktion in „Schutzhaft“ genommen.

Vier jüdische Einzelhandelsgeschäfte gab es 1938 noch in Eberbach. Es wird von drei zerstörten Kaufläden berichtet: Beim Händler Levy & Wolf in der Oberen Badstraße 14, beim Eisenwarengeschäft Alfred Freudenberger in der Hauptstraße 15 und beim Gemischtwarenhandel Adolf David in der Kellereistraße 9. Noch in der Dunkelheit gingen die organisierten Trupps hier an ihr Werk. Rollläden wurden eingerissen, Fenster und Auslagen zertrümmert.

Allein bei Levy & Wolf verursachten die Schläger einen Schaden in Höhe von 2000 RM. Eine Beobachterin erinnert sich, wie auch an der Ecke der Hauptstraße zur Oberen Badstraße Gegenstände aus dem Haus Aron David auf die Straße geworfen wurden - unter dem „Gejohle“ von dabeistehenden Eberbachern.

Eine Horde der SS machte sich gegen 6.30 Uhr am 10. November über die Synagoge her.
Auf einen Befehl der Geheimen Staatspolizei von 4.15 Uhr hatten sich zuvor bereits zwei Gendarmeriebeamte bei Synagogenvorsteher Alfred Freudenberger den Schlüssel besorgt und mit dem Eberbacher SS-Führer das kleine Gebäude durchsucht. Alle beweglichen Sachen und sakralen Gegenstände wurden mitgenommen. Die Türen zum Gotteshaus wurden offen gelassen.

So konnte die Zerstörung ungehindert beginnen. Die SS-Schergen zertrümmerten das Holz von Stühlen und Kanzel. In der Mitte des Raumes schichteten sie ein Scheiterhaufen auf und zündeten das Ganze an. Die Synagoge stand sofort lichterloh in Flammen. Die Gendarmerie alarmierte die Feuerlöschpolizei. Als die Spritzenmannschaft eintraf, hatte das Feuer bereits das Dach erreicht. Man hat keinen Löschversuch unternommen und scheinheilig nur „die Nachbarschaft geschützt“. Zahlreiche Eberbacher, morgens auf dem Weg zur Arbeit, standen stumm vor den rauchenden Trümmern. Ein Zeitzeuge erinnert sich an eine „gedrückte Stimmung“, man sprach nur gedämpft.

Der „Stadt- und Landbote“ lag auf der Linie der Propaganda und berichtete am Tag nach den Zerstörungen in der Stadt von einer „Demonstration gegen die Juden“ und einer starken „Empörung über die Mordtat des Juden Grünspan am deutschen Gesandtschaftsrat von Rath in Paris“, die die „antijüdischen Akte“ ausgelöst habe. Der damalige Bürgermeister Hermann Schmeißer ließ unter dem Zeitgeschehen für 1938 lapidar notieren: „Die Erbitterung der Bevölkerung … machte sich in der Demolierung der jüdischen Geschäftsschaufenster Luft … Außerdem ging die Synagoge in Flammen auf“.

Die für 17000 Mark gebaute Synagoge wurde komplett zerstört. Die staatliche Brandversicherung zahlteselbstverständlich keinen Pfennig. Die Stadt Eberbach stellte, einer reichsweiten Vorgabe folgend, der jüdischen Gemeinde die Forderung für Aufräumarbeiten in Höhe von 1576,70 RM aus und nahm ihr als Gegenrechnung das Synagogengrundstück für 576 RM ab. Die jüdischen Händler in der Stadt wurden finanziell ruiniert.

Im Dezember 1938 mussten sie ihre Warenlager zu einem Spottpreis an die Bezirksfachgruppe des Einzelhandels Heidelberg verkaufen.
Schriften, Gebetbücher und die Thorarolle aus der Synagoge hatte die Gendarmerie befehlsgemäß ins Eberbacher Rathaus gebracht. Alles ist verschwunden. Es ist wohl davon auszugehen, dass die geraubten Gegenstände von der Gestapo abgeholt wurden.

Mit dem verkohlten Bauschutt der Synagoge wurde der Winterhafen am Neckar aufgefüllt. Der zweiflügelige Sandstein auf dem First des Synagogendaches mit den Zehn Geboten war vom Feuer nicht zerstört worden. Am Tag nach dem Brand fuhr man ihn mit einer Schubkarre auf die Neckarbrücke und kippte ihn über das Geländer in den Fluss.

Im Sommer 1978 ist die Erinnerung an die Pogromnacht von 1938 sprichwörtlich aus dem Neckar wieder aufgetaucht. Bei Baggerarbeiten hat man den Stein zufällig entdeckt. Vierzig Jahre lang hatte da schon der Fluss an der gemeißelten Schrift gewaschen, sie war nicht mehr zu lesen.

Es gibt heute keine jüdische Gemeinschaft mehr in Eberbach. Die evangelische Kirchenverwaltung hat sich brüderlich des Erinnerungsstücks angenommen und verwahrt den jüdischen Gesetzesstein heute im Gemeindehaus am Leopoldsplatz. Der Stein ist der einzig authentische Rest aktiven jüdischen Lebens in Eberbach.

INFO. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Eberbach, Helmut Joho, Eberbacher Geschichtsblatt 1989.

Das jüdische Geschäft Seligmann an der Ecke Kellereistraße/Binnetzgasse im Jahre 1910.

Die Gesetzestafel vom First der Synagoge wurde in den Neckar geworfen - und kam später wieder zum Vorschein.

Repros/Foto: Rainer Hofmeyer

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