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Millionenschäden beim Hochwasser 1993

Altstadt überschwemmt

Das Jahrhunderthochwasser suchte Privathäuser und Geschäfte in der Eberbacher Innenstadt heim – Gebäudeversicherung zahlte alles

Dezember 1993. Foto EZ.

Dezember 2023



Die Stadt wurde alleingelassen und hatte keine Chance gegen die heraufkommende Neckar-Katastrophe, in der Weihnachtswoche 1993, jetzt vor 30 Jahren. Die Verantwortlichen von Rhein-Neckar-Kreis über Regierungspräsidium Karlsruhe bis zum Innenministerium Stuttgart lieferten Eberbach keine Warnungen vor einer drohenden übergroßen Flut. Das Weihnachtshochwasser 1993 war das schlimmste im 20. Jahrhundert. Eberbachs Historie kennt seit 1529 nur vier Überschwemmungen, die höher waren - der Spitzenwert 1824 lag bei 11,94 Meter Wasserhöhe.


Mühsam musste sich Ende 1993 die Eberbacher Einsatzleitung die Pegelstände und Prognosen selbst zusammentragen - die Werte von
Gundelsheim neckarabwärts, plus Enz, Kocher und Jagst. Man wusste, wie lange eine Hochwasserwelle nach Eberbach braucht: Vier Stunden ab Gundelsheim. Aber, es gab kein Halten, der Pegel stieg auf 9,26 Meter am 21. Dezember um 21.45 Uhr.


Das Hochwasser speiste sich nicht auch aus einer Schneeschmelze wie so oft im Winter.
Es war ein regionales Unwetter, das den Neckar und seine direkten Zuflüsse anschwellen ließ. Das Azorenhoch Victoria schüttete aus allen Eimern im Schwarzwald und im Einzugsbereich von Kocher und Jagst und direkt in der Region Mosbach/Eberbach. Am oberen Neckar bliebt das Hochwasser in einer Fünf-Jahres-Höhe, also harmlos.


Die Eberbacher Stadtverwaltung hatte mit sich selbst zu tun, in der
Tiefgarage am Leopoldsplatz standen geparkte Fahrzeuge, das Hallenbad hatte kein Wasser im Becken - eine fatale Lage, wie sich herausstellen sollte. Wenngleich Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und Polizei ihr Bestes bei einem Hochwasser geben: Hausbesitzer und Geschäftsinhaber sind weitgehend auf sich selbst gestellt.


Dietrich Müller vom gleichnamigen Modehaus in der Bahnhofstraße, damals 41, hat heute noch fast minutiös die Abläufe von Montag, 20. bis Mittwoch, 22. Dezember 1993 in Erinnerung. Seine Erfahrungen stehen für viele Betroffene in der Altstadt.


Am Montag steigt der Neckar stetig. Die
dritte Hochwasser-Alarmstufe wird am Dienstagmorgen um 9 Uhr per Sirene ausgerufen. Die Tiefgarage hat der Neckar um 10.15 Uhr erreicht. Kaufmann Müller wartet bis zuletzt mit der Schließung seines Modehauses. Noch mittags am Dienstag gibt es „ein richtig gutes Weihnachtsgeschäft“. Während die Leute in der Innenstadt in ängstlicher Hab-Acht-Stellung sind, haben die Kunden aus anderen Stadtteilen die Lage gar nicht wahrgenommen und kaufen ihre Geschenke ein.


Gegen 16 Uhr kommt am Dienstag
das dreckige Wasser in die Bahnhofsraße. Mit Angestellten und weiteren Helfern gelingt es der Familie Müller, die Keller einigermaßen zu räumen, Waren ins erste Geschoss zu retten und Verkaufsregale im Erdgeschoss höher zu hängen. Dann laufen die Keller des Modehauses und beim Nachbarn voll; die Heizung dort steht unter Wasser, eine Heizölleitung bricht, das Telefon fällt aus. Zwischen 18 und 21.45 Uhr steigt das Wasser im unteren Verkaufsraum auf fast einen halben Meter.


Langsam sieht Müller mit seiner Mutter das Geschäft untergehen. „Wir haben zusammen geheult“, beschreibt er diesen Moment.
Als das Licht in den Innenstadthäusern ausfällt, ist es für ihn kein Trost, dass das Modehaus über einen Verteiler im Schulhof als einziges Gebäude noch Strom hat. „Es brannte nur noch die Weihnachtsbeleuchtung in der Straße“, hat sich Müller in Erinnerung behalten.


Als das
Wasser am Mittwochmorgen abgezogen ist, muss der Neckarschlamm aus dem Haus, ehe er eintrocknet. Ein Räumungsverkauf am Donnerstag und Freitag bringt Müller „gigantische Umsätze“. Das treue Personal steht mit Gummistiefeln im Laden.


Müller hat einen Millionenschaden. Sogleich geht er an den Wiederaufbau, kauft sich sein erstes Mobiltelefon und aktiviert damit seinen Ladenbau-Architekten. Erst im März 1994 meldet das Modehaus: „Müller ist wieder aufgetaucht.“  
Nach der Jahrhundertflut ging Eberbach ans Aufräumen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war und durch das Wasser zerstört wurde, hat man auf die Straßen geworfen.
Die ganze Innenstadt war eine einzige Müllhalde. Es lag der Geruch nach ausgelaufenem Öl über der Szenerie. Das Geschäftsleben war für Wochen teilweise gelähmt.


1993 gab es das letzte Jahr der segensreichen
Badischen Gebäudeversicherung, zwangsweise und für wenig Geld waren dabei alle Häuser vor Elementarschäden geschützt. 580 Schadensfälle wurden in Eberbach erhoben.


Umgerechnet 8,9 Millionen Euro zahlte die Badische für alle Schäden an Häusern und festen Bestandteilen. 78 000 Mark kamen an privaten Spenden zusammen. Die Partnerstadt Ephrata schickte 17 000 US-Dollar.


Auch der Stadt wurde der Schaden an der Tiefgarage und im Hallenbad komplett ersetzt. Die unterirdische Anlage wurde zwar bei der Ausfahrt nicht rechtzeitig abgeriegelt, doch lief das Wasser später von oben rein. Und im Hallenbad platzte die leere Beckenwanne beim Ansteigen des Grundwassers auseinander.


Das nächste große Hochwasser wird für Eberbach teurer. Das Monopol für Pflichtversicherungen fiel am 1. Juli 1994 nach Vorgaben der EU.


Alter Markt. Foto EZ.

Beim Grünen Baum. Foto EZ.

Leopoldsplatz. Foto EZ.

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