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Der grausame Mord an Angelika B.

Wegen einer Chevrolet Corvette umgebracht

Vor 25 Jahren fiel die 37-jährige Boutique-Besitzerin Angelika Bertsch einem Kapitalverbrechen zum Opfer - Das Tagebuch der Ermittler

Ein auffälliges schwarzes US-amerikanisches Chevrolet-Corvette-Cabrio wollten die Täter in Eberbach rauben und nach Usbekistan überführen.

November 2020
Von Rainer Hofmeyer


Eberbach - eine friedliche Kleinstadt. Die Menschen gehen ihrer Wege, die Geschäftswelt floriert. Die Adventszeit naht, die ersten Lichterketten sind in der Altstadt über die Straßen gespannt. Die kleine Stadt vor 25 Jahren. Doch auf der anderen Neckarseite, in Neckarwimmersbach, spielt sich ein Drama ab. Was sich an jenem Abend Ende November 1995 anbahnt, hält die Stadt in Atem, bis es erst über vier Monate später schreckliche Gewissheit gibt: Die 37-jährige Boutique-Besitzerin Angelika Bertsch ist Opfer eines grausamen Raubmordes geworden.

Der kleine, schicke Laden „Angelique“ liegt am Neuen Markt. Angelika Bertsch fällt auf, nicht nur weil sie ausgesprochen attraktiv ist. Auf dem großen Parkplatz vor ihrem Geschäft parkt sie ihr aufsehenerregendes Auto: Ein schwarzes US-amerikanisches Chevrolet-Corvette-Cabrio. Mit dem sieht man Angelika B. immer wieder durch die Stadt fahren. Das Fahrzeug weckt Begierden. Wegen dieses Wagens muss Angelika B. sterben.

> 23. November 1995

Der Krimi um das Verbrechen an Angelika Bertsch beginnt am Abend des 23. November 1995, einem Donnerstag. Angelika B. hat um kurz nach sieben ihren Modeladen geschlossen und fährt mit 1500 Mark Tageseinnahmen zu ihrer Wohnung im Eichenweg. Sie ist mit ihrem weißen VW-Golf-GTI unterwegs. Denn das Corvette-Cabrio steht zu Hause - es ist seit zwei Wochen defekt.

Was Angelika Bertsch nicht ahnt: Ihr Heimweg ist schon mehrfach regelrecht observiert, ihre Wohnung ausgekundschaftet worden. Von zwei jungen Männern, 21 und 19 Jahre alt, beide Usbeken - im Volksmund „Russlanddeutsche“. Der eine ist inzwischen nach Deutschland übergesiedelt, der andere erst seit einem Monat als „Tourist“ im Lande. Sie halten Angelika B. für wohlhabend, und sie wollen die schwarze Corvette.

Die Männer sind mit Gaspistole und Totschläger bewaffnet, brechen an diesem Abend über ein Fenster in die Wohnung ein, sichern sich schon mal Geld und Schmuck, passen Angelika Bertsch ab. Was nach 19.30 Uhr geschieht, als sie ankommt, bleibt lange im Dunkeln. Um 19.45 sieht ein Zeuge den weißen Golf auf der Verlängerung des Eichenweges Richtung Wald stehen. Der Freund Angelikas versucht vergeblich, sie am Abend zu erreichen.

> 24. November 1995

Der übliche Weckanruf der Mutter am nächsten Morgen klappt nicht. Die Eltern machen sich Sorgen, fahren zu Angelikas Wohnung. Ein Fenster im Erdgeschoss steht offen, sie steigen ein. Das Entsetzen: Angelika ist nicht da, und es gibt deutliche Zeichen eines Kampfes in der Wohnung - verstreute Kleidung, Fingernägel, Blutspuren. Der weiße Golf ist ebenfalls weg.

Um 9.45 Uhr verständigt der Vater die Polizei. Eine Streifenbesatzung fährt zum Tatort. Dies ist ein Fall für die Kripo. In der Eberbacher Kriminalaußenstelle hat Kriminalhauptkommissar K. an diesem Morgen Dienst, leitet die ersten Maßnahmen ein. Der Fall wird von Anfang an unter „Verdacht einer Straftat“ geführt. Um 11.35 Uhr wird das Dezernat für Kapitaldelikte bei der Heidelberger Polizeidirektion alarmiert. „In Windeseile wurde eine Sonderkommission gebildet“, erinnert sich K. heute.

Tatortbeamte sichern akribisch Spuren in der Wohnung. Auf der Fensterbank wird der Abdruck eines Sportschuhs der Marke Adidas Torsion entdeckt. Diese Schuhe werden später noch besonders bedeutsam sein.

> 25. November 1995

Wo ist Angelika Bertsch? Die Fahndung nach ihr und ihrem Auto läuft. Eine Zivilstreife der Eberbacher Schutzpolizei entdeckt den Golf am Morgen um 1.10 Uhr auf einem Firmenparkplatz bei der L 2311, gleich hinter dem Bahnübergang bei der Itter - ordnungsgemäß verschlossen. Später stellt sich heraus, dass der Wagen schon in der Tatnacht um 2 Uhr dort stand. Im Golf finden sich Laub, Baumnadel und Blutspuren vom Opfer.

Jetzt wird eine umfangreiche Suchaktion durchgeführt. Starke Polizeimannschaften, eine Hundestaffel, Technisches Hilfswerk kommen zum Einsatz. Dabei wird die Umhängetasche von Angelika B. aufgefunden, zwei Kilometer von ihrem Auto weg, bei der Jungviehweide. In der Tasche findet sich ein Stück Paketklebeband, an dem eine DNA-Spur eines Mannes gesichert wird - noch ohne Bezug zu einer Person. Die Tageseinnahmen aus der Boutique fehlen.

> 17. Dezember 1995

Die Sonderkommission „Boutique“ (Soko) kommt seit über drei Wochen nicht voran. Keine Spur von Angelika Bertsch, keine Täterhinweise, keine Festnahmen. Da fühlen sich die Verbrecher sicher. Der usbekische „Tourist“ ist nach der Tat in seine Heimat geflohen. Jetzt bekommt er ein Signal von seinem Mittäter: Die Polizei ist ihnen nicht auf der Spur. So reist er nach Deutschland zurück und will sich seine schönen Turnschuhe wieder aus dem Wald bei der Staustufe Rockenau holen, wo er sie vorsichtshalber entsorgt hatte. Das ist sein gravierender Fehler.

Gegen Mittag des 17. Dezember bahnt sich folglich die Wende im Fall Angelika Bertsch an. Zum Abholen der Turnschuhe lässt sich deren ehemaliger Besitzer von einem Bekannten fahren, mit einem auffälligen roten Wagen. Als der junge Mann die Lidl-Tüte mit den Schuhen schon aus dem Gebüsch geholt hat, kommt ein Jogger vorbei. Wohl in einer Kurzschlussreaktion wirft er die Sachen wieder zurück. Der Sportler wird neugierig, findet drei Paar Sportschuhe, darunter die gefälschte Marke Adidas Torsion Es gibt jetzt eine Verbindung zum Tatort.

Ein weiterer Zeuge hat die Vorfahrt der beiden Verdächtigen bei der Schleuse beobachtet. Er ist sich sicher: Das Auto ist ein Mercedes 190, 2,3 Liter, 16 Ventile, auffallend rote Lackierung mit Heckspoiler. Ein Anfasser für die Ermittler. Die Kripo überprüft alle in Deutschland zugelassenen Wagen des entsprechende Typs. Eine unnötige Arbeit, ohne jeden Erfolg. Denn der Hinweis auf den Mercedes war falsch. 

> Januar 1996

Insgesamt werden am Ende über 800 Spuren von der Sonderkommission abgearbeitet sein. Die Bevölkerung nimmt regen Anteil. Im Januar 1996 macht ein Anrufer die Heidelberger Soko auf zwei ihm verdächtige junge Männer aufmerksam. Die leitet den Hinweis an die Kriminalaußenstelle Eberbach weiter. Hauptkommissar K. macht Polaroid-Lichtbilder der beiden Angezeigten. Die Fotos werden einer Zeugin vorgelegt, die ebenfalls das rote Fahrzeug und seine Insassen bei der Schleuse beobachtet hatte. Die Männer werden nicht wiedererkannt, sie haben nichts mit dem Fall zu tun.

Damit wäre Vorgang eigentlich abgearbeitet gewesen. Doch Hauptkommissar K. hakt einfach noch einmal bei der Beobachterin nach. Roter Mercedes? Im Gegensatz zu dem Hinweisgeber, der sich auf einen Mercedes versteift hatte, berichtet die Frau lediglich von einem runden Markenlogo auf einem roten "aufgemotzten" Wagen mit einem auffällig aufgeklebten D-Schild. Auf einen Mercedes will sie sich jedenfalls nicht festlegen.

Jetzt zahlt sich aus, dass es seinerzeit noch kleine Kriminaldienststellen auf dem Lande gibt. Hauptkommissar K. hat die letzten Wochen in Eberbach nebenbei immer wieder nach roten Fahrzeugen Ausschau gehalten, mit Heckspoiler und D-Schild. Durch die Aussage der Zeugin bekommt seine Suche jetzt einen neuen Impuls. Es muss irgendwo doch einen großen roten Wagen geben, der zum Fall gehört - aber kein Mercedes.

> Ende Januar 1996

Hauptkommissar K. sucht unermüdlich weiter. Ende Januar 1996 dann der Volltreffer: In der Pestalozzistraße in Eberbach-Nord sieht K. einen großen roten BMW mit auffallendem Heckspoiler und einem D-Schild, genauso aufgeklebt wie von der Zeugin beschrieben. Der Wagen ist in Eberbach zugelassen. K. macht ein Foto des Fahrzeuges. Die Frau von der Schleuse erkennt den Wagen sofort wieder. Das ist ein kriminalistischer Durchbruch. Aber Angelika B. ist immer noch nicht gefunden.

> Februar/März 1996

Jetzt ist die Kriminaltechnik am Zuge. Die Sonderkommission bekommt die Gutachten des Landeskriminalamtes auf den Tisch. Da zahlt sich die Akribie bei der Tatortarbeit in der Wohnung, beim aufgefundenen Golf, bei den anderen Asservaten aus. Die materielle Beweislage verdichtet sich.

Der kleine Hautfetzen vom Klebeband in Angelikas Umhängetasche und die DNA aus den Turnschuhen passen zusammen. Sie stammen von einem noch unbekannten Mann. Der rote BMW von Eberbach-Nord ist jetzt zur Haupt-Spur geworden. Um ihn herum sind die Täter zu finden.

Vom Besitzer des BMW und zwei Männern aus seinem Milieu werden nunmehr Fotos angefertigt, den Zeugen von der Schleuse vorgelegt. Der Fahrzeughalter wird wiedererkannt. Ins Verdachtsfeld geraten sind jetzt drei Männer. Ein Amtsrichter stellt Ende März 1996 einen Durchsuchungsbefehl für ihre Wohnungen aus. Noch immer weiß niemand, wo Angelika B. ist.

> 9. April 1996

Am 9. April 1996 gibt es die furchtbare Bestätigung. Angelika Bertsch ist tot. Ein Jagdhund aus einer Jagdgesellschaft stöbert die junge Frau im Staatsforst zwischen Eberbach und Schwanheim auf, bei der alten Rennstrecke L 590, km 2. Sie wurde grausam ermordet, erstickt. Die von der Kripo zuvor geplanten Durchsuchungen werden jetzt bewusst zurückgestellt, stattdessen die Telefone der Verdächtigen abgehört. Aber die verhalten sich auch dann unauffällig, als der Tod von Angelika Bertsch publik wird.

> 16. und 26. April 1996

Am 16. April 1996 werden die Durchsuchungsbefehle vollstreckt. Es werden zahlreiche Gegenstände aus dem Besitz von Angelika Bertsch gefunden, teilweise mit Anhaftungen von deren Blut. Die Soko ist jetzt mit Sicherheit an den Tätern dran. Die haben wohl ihre gesamte Bekanntschaft mit der Beute versorgt.

Aus dem Kreis der Verdächtigen kristallisiert die Heidelberger Dienststelle zwei Männer heraus; der Fahrer des roten Wagens hat nichts mit dem Mord zu tun.

Der 21-jährige Aleksej K. wird am 16. April festgenommen.
Gegen den 19 Jahre alten Sergej Sch. gibt es am 26. April einen Haftbefehl. Der hat eine ellenlange Vorstrafenliste und sitzt schon seit Dezember wegen der Vergewaltigung einer 19-Jährigen im Gefängnis - begangen anderthalb Monate nach dem Mord an Angelika Bertsch Besonders dreist: Im Knast trägt Sergej Sch. eine Halskette aus dem Besitz von Angelika B.

> Motiv und Tat

In zahlreichen Vernehmungen werden die Motive klar. Auch wenn einer der Verdächtigen bis zum Ende schweigt. Die beiden Täter hielten Angelika B. für vermögend. Der usbekische „Tourist“ Aleksej K. wollte die Corvette offiziell in sein Land einführen.
Dazu braucht man neben Wagen und Schlüssel auch die dazugehörenden Kfz-Papiere. Weil der Fahrzeugschein zur Tatzeit aber bei der Bank deponiert ist, geht der Plan nicht auf. Außerdem ist der Wagen nicht fahrbereit.

Eine volle Schmuckkassette und Geld nehmen die Täter aus der Wohnung mit, rauben die Tageseinnahme der Boutique. Angelika Bertsch wird in ihrem eigenen Wagen in den nahegelegenen Wald entführt. Bevor die Täter Angelika B. elendiglich mit einem Klebeband ersticken, wollen sie von ihr 50 000 Mark erpressen. Mit Angelikas Golf besuchen die beiden Männer nach der Bluttat noch Bekannte, stellen den Wagen nach Mitternacht am späteren Fundort ab.

Die beiden Mörder sind sogar so kaltblütig, dass sie am Morgen nach der Tat mit einem Taxi zur Wohnung von Angelika Bertsch fahren, um den dort vergessenen Totschläger zu holen - noch bevor die Eltern dort erscheinen. In der Community der Täter spricht sich immer mehr herum, dass Aleksej und Sergej etwas mit dem Mord an Angelika B. zu tun haben. „Jeder wusste es, keiner hat die Polizei informiert.“

> Sommer 1997

Ab 5. Juni 1997 stehen die beiden Angeklagten vor dem Landgericht Heidelberg. Der Hauptangeklagte Sergej Sch. bestätigt die Anklagepunkte und Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Aleksej K. schweigt weiter. Doch die kriminaltechnischen Beweise sind erdrückend.

Beide werden wegen gemeinschaftlichen Raubmordes verurteilt
- Aleksej K. zu lebenslanger Haft,
- Sergej Sch. zu zehn Jahre Jugendstrafe.

Bei dem Jüngeren hat sich die Justiz selbst blockiert. Denn er sitzt während der Mordverhandlung ja bereits wegen der Vergewaltigung. In jenem Sexualprozess war ihm von einem Psychiater mangelnde Reife bescheinigt worden. Das reicht dann beim Mord nicht für eine Bestrafung als Erwachsener. Der Ältere wird nach 15 Jahren Haft nach Usbekistan abgeschoben.

> Polizeireform 1. Januar 2014

Der Fall Angelika B. wurde dadurch gelöst, dass ein Hauptkommissar der Eberbacher Kripo über Monate auf der Suche nach einem verdächtigen Auto nicht locker ließ.
Die Staatsanwaltschaft lobt bei ihrer Erfolgsmeldung zum Schluss ihrer Ermittlungen ausdrücklich die „Schlüsselfunktion der Kriminalaußenstelle Eberbach“. Ein schönes Lob.
Hauptkommissar K. ist seit 16 Jahren im Ruhestand. Seine Eberbacher Kriminalaußenstelle ist trotz der großen Anerkennung im Fall Angelika Bertsch am 1. Januar im Rahmen der baden-württembergischen Polizeireform 2014 aufgelöst worden.


Am 1. Januar 2014 wurde die Kriminalaußenstelle Eberbach aufgelöst.

2021 zufällig im Awo-Laden in Eberbach, Steigestraße, aufgetaucht.

Foto/Repro: Rainer Hofmeyer
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