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Erster Weltkrieg - Verlauf

Die Begeisterung schlug um in Enttäuschung

Lazarettstadt an der Bahnlinie - Schlimme Versorgungslage der Bevölkerung - Es fielen 217 Söhne der Stadt
Verpflegung für durchreisende Soldaten.

1. August 2014
Von Rainer Hofmeyer

Erinnerung nach einem Jahrhundert: Erster Weltkrieg. Schon in den ersten Wochen des Krieges war Eberbach zu einem Lazarettstützpunkt geworden. Das Schicksal traf auch viele Eberbacher Soldaten und ihre Familien. Die Stadt litt unter mangelnder Versorgung. 

Die Begeisterung der ersten Wochen war längst verflogen.Vor 100 Jahren, am 1. August 1914, als der Mobilmachungsbefehl gekommen war, da waren die Eberbacher noch bester Dinge. Mit einer patriotischen Feier unter dem Denkmal des 1870er Krieges, der Germania am Leopoldsplatz, hatte die Bevölkerung die Söhne der Stadt in den Ersten Weltkrieg verabschiedet. Es gab sogar so viele Freiwillige, dass einige wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden mussten, weil sie keinen Platz bei den kämpfenden Einheiten gefunden hatten.

Aber aus dem versprochenen schnellen und leichten Sieg der Deutschen wurde ein lange Jahre dauernder, zermürbender Stellungskrieg. Und dieser Krieg war in seinen Folgen von der kleinen Neckarstadt gar nicht so weit weg. Denn Eberbach hatte sich von Anfang an zu einer Lazarettstation entwickelt. Bereits mit der Mobilmachung hatten Stadtgemeinde und Rotes Kreuz ein Kriegskrankenhaus in der Turnhalle beim Bahnhof eingerichtet. Die Züge mit den Verwundeten liefen immer und immer wieder auf der neuen Neckartalstrecke ein. 

So lange sich das hauptsächliche Kriegsgeschehen im Westen abspielte, wurden alle bereitgestellten Betten gebraucht. Da war Eberbach mit seinem Lazarett näher an der Front. Selbst in der „Krone-Post“ und der Realschule waren Verletzte untergebracht. Dann verlagerten sich die Ereignisse mehr auf den Feldzug in Serbien. Die Verwundetenzüge nahmen andere Strecken, das Turnhallen-Lazarett wurde sogar kurzzeitig geschlossen. Es wurde aber bald reaktiviert, als sich das Kriegsgeschehen wieder mehr westwärts verlagerte. Die Turnhalle blieb bis Kriegsende mit Kriegsversehrten voll belegt. 

Eberbach verlor seine Helden. Es kamen immer mehr schlimme Todesnachrichten von den Fronten. Bereits in den fünf Monaten des ersten Kriegsjahres 1914 waren 23 junge Eberbacher gefallen. Ende 1915 hatte sich die Zahl schon auf 73 erhöht. Die ersten Familien verloren bald schon den zweiten Sohn. Im Kriegsjahr 1917 konnten die städtischen Chronisten mit dem Zählen der „für das Vaterland Gefallenen“ nicht mehr schritthalten. 

Vier Jahre dauerte der Erste Weltkrieg. Die Euphorie schlug am Ende in bittere Enttäuschung um. Das offizielle Eberbach übte sich die ganze Kriegszeit in Zuversicht, beschönigte aber die Lage nicht. Es gab in der Stadt viel zu organisieren. Materialsammlungen, Unterstützungsfonds für Kriegsfamilien, zeitweilig drei Lazarette. Im Mai 1915 besuchte die badische Großherzogin Hilda das Turnhallenlazarett. Den Soldaten, die die Geschosse bei sich hatten, mit denen sie verwundet worden waren, ließ Ihre Majestät diese in Silber fassen. 

Es gab eine rührende Sorge der Bevölkerung für ihre Soldaten. Den Eberbacher Kriegsteilnehmern wurden „städtische Liebesgaben“ ins Feld gesandt. Socken über Socken wurden verschickt, bis das Rohmaterial ausging. Dann mangelte es den Soldaten an Hosenträgern und Taschentüchern, die daraufhin genauso in der Bevölkerung zusammengetragen wurden. Man betrieb Geldsammlungen für erblindete Krieger, für Sanitätshunde wurde gespendet.

Der Krieg kostete. Privatleute und Betriebe mussten Metallgegenstände abliefern. Die evangelische und die katholische Kirchengemeinde in Eberbach trennten sich jeweils von zwei Glocken, die eingeschmolzen wurden. Die Stadtgemeinde blieb am Ende auf rund 256 000 Mark kriegsbedingten Schulden sitzen. Die Bürger zeichneten Kriegsanleihen bei der Eberbacher Sparkasse. Für die Geschäfte des täglichen Lebens mangelte es an kleinen Münzen. Eberbach ließ im Oktober 1917 sogar städtisches Kriegsnotgeld zu 10 und 5 Pfennig Wert prägen, ohne dafür allerdings eine Lizenz zu haben. 

Die Eberbacher Bevölkerung selbst litt alle die Jahre. Die Versorgungslage war schlecht. Die Preise für Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs waren „in unangenehmer Weise“ gestiegen. Hülsenfrüchte waren kaum mehr zu haben. Die Kartoffeln wurden knapp. Mehl und Eier fehlten. Die Bäcker schoben teilweise nur einmal in der Woche Wasserweck in die Öfen. Hintergrund der Misere war auch, dass in den produzierenden und zuliefernden Betrieben kaum mehr Arbeiter da waren - sie waren auf dem Feld der Ehren. Selbst die Schiffe auf dem Neckar lagen still. Die Mannschaften der Kähne waren im Krieg. 

Eberbach versorgte sich immer auch aus seinem Stadtwald. Im April 1915 kamen 50 Zivilgefangene in die Stadt, später auch 20 französische und 40 gefangene russische Soldaten. Sie wurden als Holzhauer im Forstbetrieb eingesetzt. Trotzdem war nicht genügend Brennholz zum Heizen da. Als gegen Ende des Kriegs die linksrheinischen deutschen Bergbaugebiete in die Hände der Feinde gefallen waren, brach im Reich auch die Versorgung mit Kohlen zusammen. Im städtischen Gaswerk an der Güterbahnhofstraße musste Holz aus dem Odenwald verkokst werden. 

Doch nicht nur der Krieg selbst forderte Opfer. Die Bevölkerung war körperlich geschwächt. In den Jahren 1917 und 1918 wurde Eberbach von zwei tödlichen Epidemien heimgesucht. Zuerst war es die Ruhr, die 119 Einwohner ergriff, 30 starben. Dann tötete eine schwere Grippe 60 Menschen, darunter auch Kriegsheimkehrer sowie französische und russische Kriegsgefangene. 

Im November 1918 konnte man auf den Straßen Eberbachs spüren, dass der Krieg verloren war. Zurückkehrende, geschlagene Fronttruppen zogen durch die Stadt und quartierten sich zeitweilig in eigens leergeräumten Schulhäusern ein. Die kleine Erfrischungsstation des Roten Kreuzes am Bahnhof wurde reaktiviert. Sie war zu Kriegsbeginn erstmals in Betrieb gegangen. Auf dem Neuen Markt machte eine Kompanie bayerischer Artillerie Station. Die Truppen befanden sich in Auflösung. 

Die 1918er Revolution. Das feudale Gefüge in Deutschland war zusammengebrochen. Der Kaiser hatte abgedankt. Der Großherzog von Baden hatte am 14. November 1918 auf seine Regierungsgewalt verzichtet. In Eberbach regierte ein Arbeiter- und Soldatenrat. Ihm wurde das militärische Gerät der durchziehenden deutschen Truppen übergeben. Die geschlagenen Soldaten versteigerten die Militärpferde. Manche Eberbacher Familie erstand ein Tier, für 50 Mark aufwärts. Die Gäule wurden geschlachtet - in der Stadt herrschte Fleischmangel.

Das Weihnachtsfest 1918 nahte. Immer mehr Eberbacher Soldaten kamen aus dem Kriegseinsatz zurück. Die Weihnachtsgaben konnten jetzt den Zurückgekehrten persönlich übergeben werden. Die Soldaten im Lazarett und die Kriegshinterbliebenen erhielten wie immer eine Spende der Stadt und des Roten Kreuzes. Auf den Friedensschluss wollte man in jenen letzten Tagen des Jahres 1918 nicht mehr warten. Es bestand ohnehin kein Anlass, ihn festlich zu begehen. 

Am Sonntag vor Weihnachten 1918 rief die Stadtgemeinde zu einer Feier vor das Turnhallenlazarett. Den heimgekehrten Kriegern wurde in einem schlichten Zeremoniell gedankt. Der Kriegsgesangsverein umrahmte die Stunde musikalisch. Und die Feuerwehrkapelle spielte auf. Vier Jahre vorher hatte sie noch im Angesicht der Germania auf dem Leopoldsplatz vaterlandsliebende Gesänge einer begeisterten Menschenmenge begleitet. 

Der Erste Weltkrieg kostete weltweit fast zehn Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen verwundete Soldaten. Im Deutschen Reich leisteten im Kriegsverlauf über 13 Millionen Mann Militärdienst, davon fielen zwei Millionen. Der Feldzug hat große Wunden geschlagen und tiefe Narben hinterlassen. Die kleine Stadt Eberbach am Neckar beklagte 217 verlorene Söhne. 

INFO. Quellenmaterial: Stadtarchiv Eberbach (Historie und Bilder)


Geschützdonner zu hören

Die Schlacht um Verdun begann am 21. Februar 1916 mit einem Angriff deutscher Truppen auf die französische Festung Verdun und endete am 19. Dezember 1916. Sie war eine der bedeutendsten Kämpfe des Ersten Weltkrieges an der Westfront zwischen Deutschland und Frankreich. Der laute Geschützdonner dieser Schlacht war sogar bis nach Eberbach zu hören. Am 2. März 1916 beispielsweise ganz besonders, wie die Stadtchronik registriert hat. Die Eberbacher versammelten sich immer wieder oben am Itterberg, um das Donnern der Kanonen aus der Ferne zu vernehmen.       

Feldpost aus der Heimat.

Lazarett in der Turnhalle.

Das Lazarett wird von der Badischen Großherzogin besucht.

Repros: Rainer Hofmeyer
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