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Lungensanatorium Rockenau

Heilung in der guten Luft des Odenwaldes

Anfangs noch ohne Penicillin: Von 1929 bis 1978 diente das heutige Seniorenstift in Rockenau als Heilanstalt für Tuberkulose-Kranke
Das Sanatorium in der ersten Ausbaustufe.

März 2016
Von Rainer Hofmeyer

Für den ehemals selbstständigen Ort Rockenau war „das Sanatorium“ von Anbeginn ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Ein wenig wehmütig erinnert sich Ortsvorsteher Hans Leistner heute daran: „Unser Heiligtum“. Schließlich waren in der Tuberkulose-Heilanstalt teilweise bis zu 120 Personen beschäftigt, viele davon aus Rockenau selbst: in der Küche, als Metzger, Gärtner, im Stationsdienst, bei der Hausreinigung. Drinnen gab es viel zu tun. Und auch das weitläufige Gelände musste gepflegt werden.

Einem Mann war man in Rockenau besonders dankbar für das, was er unweit der Schleuse aufgebaut hatte. Ein Name, auch in der Fachwelt mit Renommee: Professor Dr. Kurt Schlapper. 1895 in Essen geboren, ein zunächst praktischer Arzt, der sich im Lauf der Jahre in Görbersdorf, Oberschlesien, in der dortigen größten Lungenheilanstalt der Welt auf das Fachgebiet Tuberkulose verlegt hatte. Es war die Zeit, als es noch keine Antibiotika gab - der entscheidende Durchbruch in der Bekämpfung der Tuberkulose kam erst nach dem Krieg.

Schlapper wollte sich als Lungenheiler selbstständig machen und wurde 1929 von der seinerzeitigen Reichsversicherungsanstalt auf Rockenau hingewiesen: „In Südwestdeutschland fehlt ein Lungensanatorium“. Dort gab es die „Führer‘sche Heilanstalt für Suchtentziehung“, eine Trinkerheilanstalt. Sie hatte auch damals so manchem zahlungskräftigen russischen Adligen bei der Bekämpfung seiner Wodka-Abhängigkeit geholfen. Dr. Führer gab seine Anstalt aus Altersgründen auf.

Die Umgebung war ohnehin das Richtige für eine Erholung der Atemwege. Rockenau und auch das ein paar Neckarkilometer abwärts gelegene Eberbach hatten ein mildes Klima mit Gesundheitseffekt: Man war nach dem Krieg lange noch stolz auf das Prädikat „Luftkurort“. Schlapper kaufte das ausbauwürdige Anwesen am Hang an der damals schon so genannten Rockenauer Straße.

Vom Zustand des Gebäudes her war es ganz und gar nicht für Lungenkranke geeignet: Es gab weder Heizung noch fließendes Wasser. Schlapper wählte den Namen „Sanatorium Eberbach“ - wegen der Bahnstation. Ursprünglich hatte das Sanatorium den Charakter einer großen Villa im Grünen. Es wurden sowohl Kassen- als auch Privatpatienten behandelt. Letztere zahlten jedoch auch nur den üblichen Satz einer Kassenbehandlung.

Pneumologe Schlapper hatte sich von Anfang an auf Expansion eingestellt. Er war ein guter ärztlicher Leiter, aber ebenso ein guter Kaufmann. Noch vor dem Krieg wurden Änderungen am Gebäude vorgenommen, Räume mit Markisen vorgebaut. 1955 wurden dann noch zwei Stockwerke draufgebaut, die Bettenzahl stieg zunächst auf 280.

Es wurden ein Wirtschaftsgebäude erstellt und eine Abteilung für Urogenitaltuberkulose eingerichtet. Es kamen Operationssäle dazu. Aus dem Sanatorium wurde eine Klinik. In Rockenau erinnert man sich auch noch an die großen Liegehallen Richtung Wald: Heilung an frischer Luft. Nach etlichen Umbauten und Erweiterungen strahlte der Charme der Gebäude am Ende allerdings nicht mehr ganz so bestechend wie zur Gründerzeit.

Die in weiterem Abstand zum Sanatorium lebenden Eberbacher waren vorsichtig im Kontakt mit Haus und Patienten. Schließlich ist Tuberkulose eine Ansteckungskrankheit. Für das Sanatorium hatten die Eberbacher Begriffe, der die nicht ganz so einfühlsam mit dem Leid der Kranken umgingen: „Hustenburg“ oder „Mottenburg“. „Die Motten haben“, so hieß es einst im Volksmund, wenn einer an Tuberkulose litt.

Bei den Rockenauern hingegen war Angst in diesem Zusammenhang kein Thema. Die Patienten gingen in den Wirtschaften drunten im Dorf als gerne gesehene Gäste ein und aus. So konnten die Rockenauer in der „Traube“, im „Schiff“ oder in der „Krone“ dem einen oder anderen Prominenten begegnen. Bei Rockenauern in Erinnerung geblieben: Opernsänger, Schauspieler und hohe Offiziere überzogen manches Mal die Sperrstunde des Sanatoriums, zehn Uhr abends, und husteten auf die Regeln. Passiert ist ihnen nichts - schließlich waren sie meist selbstzahlende Privatpatienten. Da ließ es der Professor vielleicht etwas lockerer angehen. Es hat sich übrigens kein einziger Rockenauer je mit der Krankheit angesteckt.

Im Zweiten Weltkrieg war das Lungensanatorium ein Reservelazarett. Als 1959 das dreißigjährige Jubiläum des Sanatoriums gefeiert wurde, erhielt es die Auszeichnung „Musteranstalt“. Offenbar traf das Mustergültige auch auf die wirtschaftlich-organisatorische Seite zu: 1963 wurde das Sanatorium mit seiner hohen Bettenzahl und dem großen Personalstamm von Schlappers Tochter Liesel und ganzen drei Verwaltungskräften geleitet.

Derart auf wirtschaftlich gesunden Beinen, nahm Kurt Schlapper zum 1. Juli 1963 das Übernahmeangebot des Mannheimer „Verbands zur Bekämpfung der Tuberkulose“ an und verkaufte seine Klinik. Bis zum 30. Juni 1978 firmierte die Einrichtung dann noch unter „Fachklinik Eberbach GmbH“ als Privatkrankenhaus. Dann kam das Ende als Lungenheilanstalt. Die einst als „weiße Pest“ gefürchtete Tuberkulose spielte in Deutschland kaum noch eine Rolle: Mit Medikamenten kann die Krankheit gut behandelt werden. Im Rhein-Neckar-Kreis wurden im vorigen Jahr noch 55 Infizierte gezählt, darunter 29 Flüchtlinge. Rund zwei Jahre lang betrieben Eberbacher Ärzte die Einrichtung als Belegkrankenhaus.

1980 wurde das Pflegeheim Seniorenstift Eberbach draus. In der Folge wechselten Eigentümer, Betreiber und Namen: TMG Wiesbaden, Refugium, Cursana. Seit immerhin 2004 ist wieder etwas Kontinuität zu verzeichnen: Rund 120 Bewohner aller Pflegestufen werden im jetzt Curata Seniorenstift genannten Komplex betreut. Die Zahl der Mitarbeiter beträgt 120 aus einem Umkreis von bis zu 30 Kilometer, ist Leiter Andreas Neureuter stolz.

Info: Eberbacher Geschichtsblatt 1979, 1995


Sanatorium 1955.       .

Das Haus 1934 - vor dem weiteren Ausbau.

Repros: Rainer Hofmeyer

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