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Stadthalle / Kurhaus

Der frühere Charme des Kurhauses wich der Zweckmäßigkeit

Die Eberbacher Stadthalle wurde vor 60 Jahren eingeweiht – Kurhaus mit Heilquellen-Wasser – Heute im Park versteckter Zweckbau
Das Kurhaus in seinen frühen Tagen - ohne Bäume, die den Blick verdecken.

Oktober 2016
Von Rainer Hofmeyer

Nierentische, Cocktail-Sessel mit dünnen Beinchen, Tüten- oder Tulpenlampen mit schmalen runden Metallhalterungen und schönen Wandschmuck im gleichen Stil. Ein Beispiel für dieses Formgefühl war das Eberbacher Kurhaus - in seiner gesamten Schlichtheit, bei der Inneneinrichtung und den Wandverzierungen innen und außen. 
Das Gebäude wird jetzt 60 Jahre alt, eingeweiht am 4. November 1956. Die Episode als echtes Kurhaus ist schon lange vergessen. Das Ganze ist inzwischen zu einem Zweckbau für Bürger und Gäste geworden - eine Stadthalle eben, wie die Bezeichnung jetzt lautet. Vergessen scheinen so auch einige ursprüngliche architektonische Momente, die den besonderen Stil des mehrteiligen Hauses ausmachten.

Tagungen, Kongresse, Theateraufführungen, Bälle und Betriebsfeste, Versammlungen, Karnevalssitzungen - die 1954 als „Stadthalle“ geplante Einrichtung sollte den Eberbacher Bürgern und ihren Gästen gewidmet sein. Vorher begnügte sich die Bevölkerung mit der Alten Turnhalle nahe der Katholischen Kirche, „Volkstheater“ genannt. Der einfache Bau war längst zu klein geworden. 

Hinter der Planung der Stadthalle stand wie so oft nach dem Krieg - Bürgermeister Hermann Schmeißer. Der Mann hatte Visionen und machte der Kleinstadt Dampf. Wenn er etwas wollte: Beschlüsse wurden gefasst, Hindernisse wurden beseitigt, die Sache wurde umgesetzt. Im Zentrum, unmittelbar am Rande der Altstadt sollte die Stadthalle gebaut werden - am Leopoldsplatz.

Doch noch stand dort ein stattliches Gebäude dem Projekt sprichwörtlich im Wege. Das Staatliche Forstamt. Das Haus war das badische Bezirksamt bis 1924, dann badisches Forstamt, mit Platz für die Gendarmerie. Samt riesigem Garten musste es weichen. Auf dem Scheuerberg baute die Stadt im Tausch eine neue Forstdienststelle. 

Die Idee der Stadthalle hatte eine Vorgeschichte, im Dritten Reich, auch zu Schmeißers Zeiten. Der war da zum ersten Mal Bürgermeister in Eberbach (1935-1940) und ohne Volksbeteiligung als Stadtoberhaupt eingesetzt. In einer Kneipenlaune, während einer „Nachsitzung“ im Anschluss an einen Rathaustermin im Bahnhofslokal („beim Horten“), kamen die zechenden Ratsherren auf den Einfall, einen „Baufonds Stadthalle“ zu eröffnen. 5 Reichsmark kamen an diesem Abend zusammen. Spenden und Beiträge summierten sich bis 1939 auf stolze 300 000 Mark. Das hätte für eine Stadthalle gereicht. Doch: Im September desselben Jahres brach der Krieg aus. Die Pläne mussten ad acta gelegt werden. 

Schmeißer griff das Vorhaben nach dem Krieg in seiner zweiten Amtsperiode (1954 - 1972) unverzüglich wieder auf. Doch 1954, jetzt in der Demokratie, konnte der Gemeinderat dem Bürgermeister Paroli bieten: 100 neue Wohnungen in Eberbach seien vorrangiger als eine Stadthalle, lautete die Ablehnung. Schmeißer setzte sich selbst Bedingungen, formulierte ein Junktim: 100 Wohnungen - und der Bau einer Stadthalle. Jetzt gab das Gremium sein Plazet. Noch 1954 wurden die von Schmeißer versprochenen Wohnungen allesamt fertiggestellt, der Bau der Stadthalle konnte 1955 beginnen.

Anfangs wurde das projektierte Haus vor allem von der heimischen Gastronomie als ungeliebte Konkurrenz befürchtet.Das sollte sich später ganz anders herausstellen: Es entstand ein starker Motor für die Eberbacher Touristik, man lockte regelmäßig die damals so beliebten Tanz-Züge der Bundesbahn an. Zehntausende Gäste rollten nach Eberbach, trafen sich zum Schwof im Großen oder Kleinen Saal - und bevölkerten anschließend in Scharen die ansässigen Gaststätten und Cafés. 

Die Gestaltung der neuen Stadthalle wurde über einen Architektenwettbewerb gefunden. Es sollte ein typisches Haus in Kurarchitektur werden. Ein Mehrzweckgebäude mit repräsentativer Eingangshalle, dazu ein Ball-, Theater- und Konzertsaal, ein Spielsaal mit Gastronomie. Die bereitgestellte Bausumme: 1,5 Millionen D-Mark. 
26 Entwürfe gingen ein. Fünf Fachleute und vier Laien saßen über den Plänen zu Gericht. Zwei Vorschläge kamen in die engere Wahl. Der Karlsruher Architekt Otto Heß bekam den Zuschlag. Architekt Artur Zessin aus Heidelberg plante den Innenausbau. Das Konzept fand breite Anerkennung, wurde in einer Fachzeitschrift für Architektur als richtungsweisend, als „glückliche und befriedigende Lösung“ bezeichnet. 

Die Bauzeit kam einer Blitzaktion gleich. Im Frühsommer 1955 rückten die Bagger am alten Forstamt an. Am 3. September folgte die Grundsteinlegung. Am 26. Mai 1956 war Richtfest. In nur 13 Monaten wurden die drei Gebäudeteile hochgezogen. Der Eröffnungstermin drängte. Ministerpräsident Gebhard Müller wollte persönlich anwesend sein, hatte aber nur ein Datum frei. So wurde es der 4. November 1956. 

Eine der „schönsten Stadthallen Süddeutschlands“ wurde ihrer Bestimmung übergeben. Großer Saal mit 1000 Plätzen, Kleiner Saal für 300 Gäste, das Restaurant, quer dazu der haushohe Eingangsbereich mit dem Wandrelief aus Schließlers Krösselbacher Fayence. Die Trinkhalle sollte „die gute Stube der Stadt“ werden. Dort konnte man das Eberbacher Mineralwasser abfüllen - für die schluckweise Trinkkur. 

„Festhalle“ oder „Stadthalle“ sollte das Haus heißen. Doch der erste Pächter des Restaurants, Karl Oberdorfer, krönte gleich am ersten Tag seine Speisenkarte mit der Bezeichnung „Kurhaus Eberbach“. Auch ohne die Voraussetzung für eine solche Angeberei zu haben, beließ man es fürderhin bei diesem Prädikat. Eberbach wurde später ganz offiziell „Ort mit Heilquellen-Kurbetrieb“, trat an Neujahr 1961 dem Deutschen Bäderverband bei.

Über Kurhaus und Stadthalle sind die Jahre hinweggezogen. Das Heilwasser ist abgedreht, 1997 kam das Ende als Kurstadt, der Trinkbrunnen ist abgeschlagen. Immer wieder wurden einzelne Teile des Hauses modernisiert. Viele Stilelemente der 1950er-Jahre sind zwar noch erhalten. Durch notwendige Renovierungen und Reparaturen zeigt sich inzwischen eine nicht gerade harmonische Mixtur von Alt und Neu. 

Vor allem ist die Stadthalle heute im Grünen versteckt, bei der Vorbeifahrt und beim Spaziergang im Park kaum mehr zu sehen. Hohe Pflanzen bis hin zu Mammutbäumen haben den Blick von außen auf das einstige „Eberbacher Schmuckstück“ so gut wie zugestellt. Selbst im Innern gab es durchgreifende Änderungen. Der Kleine Saal ist inzwischen als Stadtbücherei zweckentfremdet und steht für kleinere Veranstaltungen nicht mehr zur Verfügung. Und aus dem stolz angepriesenen „Kurhaus-Restaurant“ ist mittlerweile schlicht und einfach das „Restaurant-Café am Leopoldsplatz“ geworden. 

Heute ist der Große Saal vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen.

Ganz schlicht und dabei schön im Stil der 1960er-Jahre.

Foto/Repro: Rainer Hofmeyer
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