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Nachkriegsjahr 1946

Als die US-Demokratie nach Eberbach kommt

Im Nachkriegsjahr 1946 bestimmen die amerikanischen Militärs das Leben der Stadt - Am 30. Januar 1946 ist Gemeinderatswahl - Bürgermeister Kurt Nenninger wird gewählt

Gemeinderat 1946 mit dem gewählten Bürgermeister Kurt Nenninger (Mitte vorn).
Stehend von links: Karl Emig, Friedrich Platt, Heinrich Krauth, Christian Wilhelm, Th. Sauer, Ratsschreiber Kurt Schieck.
Sitzend von links: Wolfgang Müller, M. Wohlfahrt, K. Nenninger, K. Krämer, E. Schönig

Januar 2021
Von Rainer Hofmeyer

Was vor jetzt 75 Jahren in Eberbach geschieht, wird in Frankfurt bestimmt. Im IG-Farben-Haus hat die US-Militärregierung ihren Sitz. Die amerikanische Besatzungszone reicht in Süddeutschland bis zur Grenze der Autobahn-Linie Karlsruhe-Stuttgart-Ulm. In Eberbach setzt die örtliche Militär-Kommandantur die Befehle um. Ihr Quartier ist in der Krone-Post. Unmittelbar nach dem US-Einmarsch am 31. März 1945 und dem vorzeitigen Ende des Krieges für Eberbach sind alle politischen Strukturen in der Stadt zerschlagen. Wirtschaft und Versorgung liegen am Boden.

Das Militär hat die Stadt im Griff. 130 Häuser in der Stadt sind von den US-Truppen belegt. Was die Soldaten brauchen, wird beschlagnahmt: Rundfunkgeräte, Schreibmaschinen, Fotoapparate, Geschirr, Bettwäsche. Mitnehmen können die GIs diese Sachen nur, wenn sie einen „Requisitionsschein“ haben, sonst ist es verbotene Plünderung. Aber, sie bekommen, was sie wollen. Selbst elektrische Bügeleisen wechseln ihre Besitzer - schließlich brauchen die Ausgehhosen der US-Offiziere eine scharfe Bügelfalte.

Jetzt, im ersten Nachkriegsjahr 1946, herrscht große Knappheit in der Stadt. Not, Elend und Verzweiflung bestimmen den Alltag. Die Folgen des totalen Zusammenbruchs des Dritten Reiches sind einschneidend. „Die Frage nach der deutschen Schuld lastet auf den Menschen“, schreiben die Eberbacher Chronisten. Die „politische Reinigung“ bestimmt das wirtschaftliche und soziale Leben.

Erste Strukturen der neuen Demokratie bilden sich, verordnet von den Amerikanern und nach ihrem Vorbild. Die Staatsgewalt wird dezentralisiert, bis runter in die Städte und Gemeinden. Die Polizei wird städtisch - in blau umgefärbten Wehrmachts-Uniformen. Im Eberbacher Rathaus sitzt eingangs des Jahres noch Bürgermeister Leopold Ostertag, von den Militärs eingesetzt, weil er kein NS-Parteigenosse war.

Am 8. März wird er vom kommissarischen Bürgermeister Kurt Nenninger abgelöst - auch ohne Wahl. Die folgt dann drei Wochen später, am 31. März. Nenninger gehört der SPD an, das qualifiziert ihn fürs Erste. Die Mitglieder des Gemeinderates kann sich das Stadtoberhaupt selbst aussuchen - fast wie in alten Zeiten. Das wird sich aber im Laufe des Jahres noch ändern.

Treuhänder übernehmen das Kommando in den örtlichen Industriebetrieben, in Handel und Gewerbe, soweit diese zuvor von NS-Parteigenossen geführt worden waren. Die Schwierigkeiten bei der Ernährung sind ungeheuerlich. Wenig Trost dürften die 20 000 Flaschen Wein spenden, die man in einem Ausweichlager entdeckt und an die Bevölkerung verteilt.

Die Besatzungszeit schadet dem Eberbacher Wald, dem heimischen Naturschatz. Die Militärregierung verpflichtet die Stadt, ihre Nachbarn Heidelberg und Mannheim mit Brennholz zu beliefern. Rund 30 000 Ster Holz werden gerodet und neckarabwärts transportiert. Die alten Eberbacher können sich noch gut daran erinnern, wie stadtnahe Berghänge im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg bald keinen einzigen Baum mehr tragen. Überall sieht man die hellen Schnitte der Baumstümpfe aus dem Boden ragen.

Zum Glück ist die Altstadt in den letzten Kriegsmonaten zwar bei einem Luftangriff schwer beschädigt, aber nicht vollständig zerstört worden. Immerhin sind 200 Wohneinheiten vernichtet. Das Rathaus am Alten Markt steht noch.  Obwohl die politischen Verhältnisse noch in der Schwebe sind, arbeiten im Jahr 1946 die städtischen Behörden und Dienststellen einigermaßen wieder. Und die haben gehörig zu tun. Eberbach hat zum Jahresanfang 10377 Einwohner, zum Ende 1936 noch einmal gesteigert auf 11227. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges waren es 7719.

Das Wohnungsamt wird eine selbstständige Dienststelle. Es zählt 2462 Wohnungen mit 8004 bewohnten Räumen. Davon sind 786 von der US-Army beschlagnahmt. 1686 Heimatvertriebene suchen eine Bleibe - eine fast unlösbare Aufgabe. 250 Einwohner haben auch keine Unterkunft. 148 in anderen Städten ausgebombte Familien sind nach Eberbach verschlagen worden.

Mit Lastwagen kommen die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen aus dem Osten an. In den Rosshaarspinnereien Mayer und Platt werden sie behelfsmäßig untergebracht, in den beiden Turnhallen, im Bauhof und in der Itterburg. Dann erfolgt die Einweisung in Privatquartiere zu Eberbacher Familien. Im Laufe des Jahres wird ein achtköpfiger Flüchtlingsausschuss gebildet.

Jetzt spielen wieder demokratische Parteien eine Rolle. Sie können sich gleich zu Anfang des Jahres um Sitze im neuen Gemeinderat bewerben. Am 30. Januar 1946 ist Wahltag. Von 4930 Stimmberechtigten gehen knapp 500 nicht an die Wahlurne. Die SPD bringt es mit 1738 Stimmen auf vier Sitze. Sie bleibt danach über viele Jahrzehnte stärkste Partei im Eberbacher Gemeinderat. Die 1945 neu gegründete CDU schafft mit 1372 Voten drei Plätze. Die zehn Jahre später in Deutschland verbotene Kommunistische Partei kann einen Stadtrat entsenden, 349 Stimmen. Die „Demokraten“ holen mit 829 Stimmen zwei Sitze. Jetzt gibt es endlich eine Volksherrschaft in Eberbach.

Im ersten Gemeinderat sitzt bereits der Bäckermeister Karl Emig, der später Landtagsabgeordneter und am 13. Mai 1972 zu seinem 70. Geburtstag Ehrenbürger der Stadt werden wird. Ratschreiber beim ersten Gemeinderat ist Kurt Schieck, den man 1966 in Neckargemünd zum Bürgermeister wählt. Schieck muss 1946 insgesamt 53 Gemeinderatssitzungen protokollieren - man nutzt offenbar fast jede Woche die neuen demokratischen Möglichkeiten. 

Schon bricht man im Rathaus auch formal mit dem alten Regime. Am 15. März 1946 werden die Eberbacher Ehrenbürgerschaften aberkannt für Adolf Hitler, Reichspräsident von Hindenburg, General Ritter von Epp und dem aus Lindach stammenden Reichsstatthalter Robert Wagner. Auch Straßennamen werden geändert, die Nazigrößen verehrten.

Keinen Erfolg hat die Idee der Stadtverwaltung, einen Kreis Eberbach einzurichten, obwohl man dem Innenministerium eine Denkschrift vorlegt. Das städtische Eberbach fühlt sich damals dem Nachbarn Mosbach überlegen. Es gibt wieder Kultur. Im Mai führt der Heidelberger Bachverein Händels „Messias“ in der evangelischen Stadtkirche auf. Auf einem Konzertabend spielt ein Geiger Mozart, Beethoven und Händel. „Eberbacher Kunst und Kunsthandwerk“ blühen langsam wieder auf, gekrönt von einer Ausstellung im Dezember.

Die Unterrichtung der Bevölkerung über amtliche Anordnungen erfolgt per Aushänge und „Ausschellen“ durch Ratsboten. Als einzige Zeitung mit Lokalteil erscheint in Eberbach die 1945 lizenzierte Rhein-Neckar-Zeitung, an einigen Tagen in der Woche. Die Meldungen laufen unter dem Kopf „Neckartal-Rundschau - Nachrichten aus Eberbach-Mosbach“ oder „Eberbacher Echo“. Der „Stadt- und Landbote“ hat Ende 1943 sein Erscheinen kriegsbedingt eingestellt. Erst am 12. Juli 1949 startet er wieder eine regelmäßige Ausgabe, mit dem Untertitel „Eberbacher Zeitung“.

Am 21. Februar 1946 wird die Bürgermeisterstelle ausgeschrieben. Am 31. März wird der im Januar kommissarisch eingesetzte Bürgermeister Kurt Nenninger vom Volk gewählt. Der hat wenigstens am Sonntag, 15. Mai eine angenehme Aufgabe. Er kann die in der Nacht vor der Kapitulation Eberbachs von der Waffen-SS zerstörte Neckarbrücke wieder für den Verkehr freigeben. 319319 Reichsmark kostet der Wiederaufbau. Beim Sommertagszug zerschneiden Honoratioren der Stadt das trennende Band zwischen Eberbach-Stadt und Neckarwimmersbach.

Und weil es so schön ist, gibt es im September 1946 den ersten Kuckucksmarkt nach dem Kriege, durch Vorschriften der Bewirtschaftung noch stark beeinträchtigt. Der Markt bringt einen Reingewinn in Höhe von 9500 Reichsmark.
Aber noch lange ist Eberbach nicht im Normal-Modus.

Die hauptsächliche Aufgabe in den nächsten Jahren wird die Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen sein. Es werden neue Stadtbezirke entstehen. Auch die Innenstadt muss wieder aufgebaut werden. Bürgermeister und Gemeinderat drücken auf das Tempo, man braucht Wohnraum. Skizzen aus 1946 zeigen, wie schön danach die Häuserzeilen hätten sein können. Doch, so attraktiv wie geplant, ist die Altstadt am Ende doch nicht geworden.

Info. Quellenmaterial: Stadtarchiv Eberbach, Rhein-Neckar-Zeitung.





Die Besatzungszonen im Nachkriegsdeutschland.

Repros: Rainer Hofmeyer
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