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Eberbacher Michaelskirche

Es war die Muttergottes und nicht St. Michael

Der Name Michaelskirche geht von falschen stadthistorischen Voraussetzungen aus - Vorläufer waren zwei Marienkapellen 

Seit 1976 heißt das Gebäude Michaelskirche.

September 2018
Von Rainer Hofmeyer


Die gute alte Evangelische Stadtkirche von Eberbach. Ihr 175-Jähriges feierte man 2016. Eingeweiht 1841 anstelle einer kleinen Kirche direkt beim Oberen Tor an der alten Stadtmauer. Seither thront das massige Steinhaus über der „Kirchenstraße“, viele Stufen hinauf der Eingang, der großen Eberbacher Hochwasser wegen. Inzwischen sagt man selbstbewusst „Michaelskirche“, hat an der Rückseite des großen Kirchenschiffs ein Relief des namensgebenden Michael in Gestalt eines Erzengels eingelassen - aus heimischem Buntsandstein meisterlich gehauen. Michael und seine Kirche sind eine Selbstverständlichkeit in Eberbach geworden. 

Dabei hatte sich die vorher schlichte „Evangelische Stadtkirche“ bei den Neckarstädtern auch schon längst eingebürgert, während die etwas jüngere Katholische Pfarrkirche stets auf St. Johannes Nepomuk hörte. Und es wäre bestimmt so geblieben, hätten nicht die Konfirmanden von 1924 bei der Goldenen Konfirmation 1974 die Anregung gemacht, auch ihrer Kirche einen schönen Namen zu verleihen. 

So wurde im Dezember 1974 das Thema Namensgebung erstmals im Evangelischen Kirchengemeinderat am Leopoldsplatz erörtert. Pfarrer Lic. Günter Moldaenke von der zuständigen Südpfarrei hatte gleich einen treffenden Vorschlag: „Michaeliskirche“. Den Hintergrund für ausschließlich diesen einen Namen belegt das Protokoll der Sitzung: „Pfarrer Moldaenke weist darauf hin, dass auf dem Platz, wo unsere Kirche steht, vor 400 Jahren eine Kirche St. Michael gestanden habe“. Ein Name mit Tradition also. Die Probeabstimmung ergab folglich ein einhelliges Ja für „Michaeliskirche“. 

Zwölf Monate später hatte das große Gotteshaus dann seinen Namen. Aber etwas abgewandelt zum Vorschlag vom Vorjahr. Denn in der Dezembersitzung 1975 konnten die Kirchenvorderen zwischen den Varianten „Michaeliskirche“ und neu „Michaelskirche“ wählen. Bis auf zwei Enthaltungen stimmten jetzt alle für „Michaelskirche“.

Kirchenältester Max Rohr fragte vorsichtshalber in der Sitzung nach, ob denn die Namenänderung etwas kosten würde. Das war nicht der Fall. Ab 1976 hat man in allen Publikationen der Kirchengemeinde eben nur noch „Michaelskirche“ geschrieben: „Die ‚Stadtkirche‘ soll künftig ihren alten Namen ‚Michaelskirche‘ wiedererhalten.“ Der neue „alte Name“ sprach sich in Eberbach auch schnell rum - ebenso kostenlos. Und das 1978 in der Kirche eingesetzte Sandsteinrelief mit dem namensgebenden Michael als Erzengel stiftete die Evangelische Kirchengemeinde Friedrichsdorf. Die Namensgebung war gratis vollzogen. 

Pfarrer Moldaenke hatte eigentlich gute Gründe für seinen Namensvorschlag. Ein Blick in die Stadtgeschichte von John Gustav Weiss gab die entsprechende Anregung. Der ehemalige Eberbacher Bürgermeister und Ehrenbürger schreibt bereits 1900: „Erst 1426-29 wurde in der Stadt am oberen Thor eine dem hl. Michael geweihte Kapelle oder Kirche gebaut.“ Das war genau die Stelle der heutigen Evangelischen Stadtkirche. Die alte Kapelle wurde 1518 umgebaut, erweitert und im gleichen Jahrhundert reformiert, als in der Kurpfalz der Glaube wechselte. 

Nach der Schlacht auf dem Lechfeld 955, der „Geburtsstunde der deutschen Nation“, wurde St. Michael zum Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und später Deutschlands. „Der deutsche Michel“ leitet sich noch heute davon ab. Eine heimische Kirche dem nationalen Schutzheiligen zu widmen, wäre nicht abwegig - sogar unabhängig vom evangelischen oder katholischen Glauben. 

Aber jetzt kamen erhebliche Zweifel an der Namenstradition auf, daran dass die anfangs katholische, später reformierte Kirche vom Oberen Tor tatsächlich den Namen von St. Michael trug, wie Weiss 1900 schreibt. Stadtarchivar Dr. Rüdiger Lenz, der im aktuellen Eberbacher Geschichtsblatt über die Michaelskirche referiert, stellt zwar fest, dass es seit den 1970er-Jahren den neuen Namen gibt. Einen stadtgeschichtlichen Reim kann sich Lenz aber darauf nicht machen. Schon garnicht, dass der Name Michaelskirche wiederaufgelebt sei, wie die Evangelische Kirchengemeinde noch heute dokumentiert. 

Die Marienkapelle war in der Stadt

Denn im Stadtarchiv findet sich kein Hinweis, dass früher überhaupt eine Eberbacher Kirche nach dem heiligen Michael benannt war. Das von Weiss beschriebene, 1429 vollendete Kirchengebäude am Oberen Tor war jedenfalls nicht St. Michael gewidmet, sondern der Jungfrau Maria. Stadtarchivar Lenz hat alle städtischen Archivalien eingehend überprüft: „Die Kapelle am Oberen Tor war eine Marienkapelle, keine Michaelskapelle. Der Neubau von 1426/1429 wird ‚unser frauwenbuw‘ genannt.“ Ein Gebäude für die Jungfrau Maria, also. Der eindeutige Beleg dafür: Es gibt eine Baurechnung von 1429 mit dem Hinweis auf den „Frauenbau“. Und es war noch nicht einmal die erste Marienkapelle am Oberen Tor. 

Selbst der Vorgängerbau, der 1370 dokumentiert ist, war bereits ihr gewidmet - „Unser Lieben Frau“ hieß er. 

Immer die Jungfrau Maria, kein Michael also über Jahrhunderte am Standort der jetzigen Evangelischen Kirche. Es gab sogar eine „Bruderschaft der Liebfrauenkirche“, wie 1534 bezeugt ist. Mit seinem Hinweis auf den heiligen Martin irrte also der geschichtsschreibende Bürgermeister Weiss. Da es bei den Reformierten keine Marienverehrung gibt, hatte nach dem Übergang des Gebäudes zum neuen Glauben ab Mitte des 16. Jahrhunderts die Kapelle am Oberen Tor keinen Namen mehr. Sie war dann schlicht und einfach nur noch die Reformierte, später Evangelische Kirche. So namenlos ist auch ihre Nachfolgerin geblieben - bis 1975.

Die Pfarrkirche war außerhalb 

Eine kleine Spur gibt es allerdings doch. In den kirchlichen Eberbacher Archiven findet sich nämlich tatsächlich ein Michael. Aber schon gar nicht als Name für ein ganzes Gotteshaus, sondern nur beim Michaels-Altar. Der war einer von vier Nebenaltären in der St. Johannes dem Täufer gewidmeten Pfarrkirche von 1305. Die war jedoch nicht am Oberen Tor gelegen, sondern außerhalb der Stadtmauern, beim damaligen Friedhof. Im Gegensatz zur Marienkapelle blieb die St.-Johannes-Kirche mit ihrem Michaels-Altar stets streng katholisch. Heute steht an ihrem Platz die Kirche St. Johannes Nepomuk.

In der Evangelischen Kirchengemeinde von Eberbach spielte also St. Michael vor 1975 nie eine stadtgeschichtlich begründete Rolle, weder direkt noch als Überbleibsel aus der Zeit vor der Reformation. Pfarrer Moldaenke und seine Kirchengemeinderäte gingen bei ihrer Namenswahl ungewollt von falschen Voraussetzungen aus. Wenn es in Eberbach je eine historische Anknüpfung an St. Michael gegeben hätte, dann allenfalls für die Katholiken und ihre heutige Stadtkirche. 

So bleibt der Evangelischen Stadtkirche jetzt nur noch der Bezug zu St. Michael als Schutzpatron der Soldaten und Krieger der Schlacht auf dem Lechfeld 955, der dadurch zum Schutzheiligen der deutschen Nation wurde. Oder der Namensgeber ist Erzengel Michael, der Anführer der himmlischen Heerscharen. Im Buntsandstein-Relief in seiner Eberbacher Kirche bezwingt er den Satan in Gestalt eines feuerspeienden Drachens. Vielleicht ist es aber auch der Fehlerteufel, den er da niederringt. 


„In der Capellen in der Statt vnd pfarr kirchen ausserhalb“

Warum manches in der Eberbacher Kirchengeschichte durcheinanderging

Da haben sich die Eberbacher Geschichtsschreiber gleich mehrmals vertan. Und die, die bei ihnen abgeschrieben haben, auch. Wahrscheinlich wurden Haupt- und Nebenkirche verwechselt, beide anfangs zum selben Glauben gehörend. Pfarrer Wirth aus Haßmersheim, der 1864 die Stadtgeschichte zusammenfasste, schreibt von der „Hauptkirche“ in der Stadt, ausdrücklich am Platz der jetzigen Evangelischen Kirche. In dieser Kirche soll es „neben dem Hauptaltar noch zwei Nebenaltäre“ gegeben haben: „dem heiligen Michael und dem heiligen Kreuz geweiht“. Doch die Hauptkirche war draußen vor der Stadt, beim Friedhof.

Bürgermeister Weiss macht in seiner Stadtgeschichte 1900 gleich die ganze „Kapelle oder Kirche“ in der Stadt zur Michaelskirche, wohl beeinflusst von Wirth: „1429 bis 1429 gebaut und dem heiligen Michael geweiht.“ Dabei stand schon 1565 in einem Visitationsbericht der Kellerei Eberbach geschrieben, dass es zwei ungleiche Gotteshäuser an unterschiedlichen Stellen gab: „In beyden diesen kirchen, der Capellen in der Statt vnd pfarr kirchen ausserhalb der statt…“

Jetzt hat Eberbachs Stadtarchivar Rüdiger Lenz endlich Klarheit geschaffen. Drinnen war es immer eine kleine Kapelle, namentlich stets für Maria, draußen gab es die große Pfarrkirche für St. Johannes, die Hauptkirche mit dem Altar für Michael. Alle historischen Belege sind vorhanden. 1957 hat der damalige evangelische Stadtpfarrer Julius Paret den Michael mit seiner großen Kirche in sein Werk übernommen. Und so ist die Verwechslung dann auch 1975 in die Entscheidung eingeflossen. 

Michael als Drachentöter - Das Steinrelief stifte die Evangelische Kirchengemeinde Friedrichsdorf.

Alter Stadtplan zeigt zwei Kirchen.

Vorgängerkirche - Die Marienkapelle auf einem Bild von 1780.

1426 - Stein in der ersten bekannten Marienkapelle.

Baurechnung von 1429 - Hinweis auf "unser frauwen bauw".

Histor. Dokumente: Stadtarchiv Eberbach / Fotos/Repro: Rainer Hofmeyer
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