Neuer Text

Anker-Lichtspiele

Der Ton war Marke Eigenbau
1952 wurden die Eberbacher Anker-Lichtspiele gegründet - Letzter Film 1972

Nachts auf voller Front in vollem Glanz.

Juni 2011
Von Rainer Hofmeyer

Eberbach hatte nach dem Krieg zwei Kinos. Die Geschichte der Anker-Lichtspiele in der Bussemerstraße ist so etwas wie ein Abbild der Entwicklung der Lichtspielhäuser in Deutschland und ein klein wenig auch ein deutscher Sittenspiegel. Das Kino wurde 1951 eröffnet. Es spielte nur bis Ende 1972. Das zweite Kino, das Burg-Theater, spielte noch etwas länger.

Am Anfang der Anker-Lichtspiele stand schlicht und einfach eine Geschäftsidee, die Suche nach einem finanzsicheren Erwerb nach dem Krieg. Max-Fedor Grisstede aus Emden und der Eberbacher Hans Laule ergänzten sich hervorragend. Der eine war Kaufmann, der andere begeisterter Elektroingenieur, arbeitete nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft bei BBC Eberbach. Laule konnte Radios basteln und Mikrofone zusammenschrauben, sogar ein Tonbandgerät wurde von ihm mitgebaut.

Die beiden Schwager gründeten an der Ecke Friedrichstraße/Bussemerstraße das Geschäft für Elektro, Radio- und Fernsehgeräte Grisstede-Laule (später im Einkaufsverbund: "Interfunk - Unsere Größe - Ihr Vorteil"). Das Grundstück wurde für den Betrieb neu erworben. Im vorderen Teil wurden das Verkaufsgeschäft und die Werkstatt untergebracht.
Auf der dahinter liegenden Fläche setzten die Firmengründer im schönen trockenen Herbst 1951 den Spatenstich für das neue Kino.

Noch heute ist auf der  - selbstverständlich mit einer Laule'schen Konstruktion aufgezeichneten - immer noch vorhandenen Eröffnungsrede nachzuhören: Drei Monate später im Dezember 1951 war der Neubau fertig. "Schwarzwaldmädel" mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack lief als Eröffnungsfilm.

So langsam kauften sich anfangs der 50er Jahre die Eberbacher Fernsehgeräte für die heimische Wohnstube. Manches Phonomöbel wurde damals üblicherweise "auf Pump" gekauft. Und nicht immer gingen die Raten pünktlich ein. Da war ein parallel zum Laden und der Werkstatt betriebenes Filmtheater finanziell schon viel sicherer. Die lukrative Devise: "Wer im Kino sitzt, hat gezahlt". Und Filmkunst war damals eben beliebt und gut nachgefragt. Die Karten-Kasse klingelte also regelmäßig.

Hans Laule hatte in Mannheim studiert. Während seiner Studienzeit verdiente er sich als Film-Vorführer ein paar Reichsmark dazu. Im Eberbacher Burg-Theater, Emil Eckerlins Kino in der Brühlstraße. So kennzeichnete die Idee mit den Lichtspielen einen gewissen Erfahrungs-Hintergrund.

Der Name Anker-Lichtspiele ("ALi") kam nicht von ungefähr, sondern hatte einen familiären Ursprung. Zum einen war der Anker im Wappen der Familie Grisstede. Und Lina Laule, Ehefau des Kino-Gründers,  kam aus der heimischen Schifferfamilie Weber in der Beckstraße. Bei diesen Bezügen war der Anker ein doppelt treffendes Symbol.

Immerhin 321 Sitzplätze fasste das Haus auf 28 Reihen. Abgestuft in der Bequemlichkeit und im Preis, wie es sich gehörte: Sperrsitz in Holz, Parkett mit leichtem rotem Polster und die Loge mit dicken blauen Sesseln. Die farbliche Innenraumgestaltung hatte bei aller Schlichtheit künstlerischen Ursprung. Der Eberbacher Kunstmaler Heiner Knaub hatte die Farben ausgesucht, mit der die großflächigen Holzfaserplatten ("Sauerkraut-Maserung") gestrichen und die untere Bühnenseite mit kleingeschnippeltem Dekofix beklebt war.

Die "Bildwerfer" musste man kaufen: Zwei Ernemann X-Projektoren von Zeiss sorgten für die Bewegung auf der weißen Leinwand. Beim Ton konnten sich die Anker-Lichtspiele den Erwerb sparen. Der Verstärker war Marke Eigenbau. Die Ingenieure in der Bussemerstraße konnten die Akustik selbst am besten zusammenlöten. Und den Vorhang bedienen und die Lichter dimmen konnte man im "ALi" wie bei den Großen, dank der technischen Findigkeit der Betreiber.

Sieben Tage immer Programm. Am Wochenende acht bis zehn Aufführungen. Lange Schlangen an der Kinokasse. Das waren noch Zeiten, als Spielfilme für die fast alleinige Abwechslung sorgten. Anfangs 12 bis 14, in der Blütezeit bis 20 und mehr Vorstellungen liefen in der Woche in den Anker-Lichtspielen. Samstags und sonntags gab es eine Kinder-, eine Jugend- und zwei Erwachsenenvorstellungen, manchmal sogar noch je eine fünfte Aufführung.

Große Spielfilme der Nachkriegszeit zeigten auch die Anker-Lichtspiele. Vom anfangs mit rund 400 Plätzen noch etwas größeren Burg-Theater unterschieden sie sich in den Film-Verleihen. Das "ALi" bekam seine Zelluloidrollen von der Ufa, der deutschen Constantin-Film und Metro Goldwin Meyer (MGM). Die anderen bekannten Verleihfirmen belieferten die Konkurrenz ein paar Ecken weiter.

Also führte das Burg-Theater die "Fox Tönende Wochenschau". Und im "ALi" und unterrichtete die Ufa mit der "Neuen Deutschen Wochenschau"  die Eberbacher über das letzte Geschehen aus aller Welt. Mit einem sogenannten Kulturfilm stellte man sich seinerzeit auf das Hauptprogramm ein. Der kurze wertvolle  Streifen über Gott und die Welt, Land, Leute und Kulturen, Wissenschaft und Kunst war sogar Pflicht.

Besonders gut besucht waren regelmäßige Kino-Festwochen im "ALi". Helmut Joho, der langjährige Herausgeber der "Eberbacher Geschichtsblätter", seinerzeit als Studienassessor frisch ans Hohenstaufen-Gymnasium gekommen: "Da lief jeden Abend ein großer Film. Wir sahen preisgekrönte Streifen, die vorher in den Großstädten erfolgreich waren."
Die Jungen wussten, was sie am Wochenende zu tun hatten.

Überaus beliebt bei der heranwachsenden Jugend war die Reihe mit "Fuzzi" Al St. John. Bis Mitte der 5o-er Jahre begeisterte der tollpatschige Hilfsheriff ("Der Banditenschreck", "Für Recht und Gesetz") die kleinen Eberbacher samstags nachmittags, für 40 Pfennig auf den mittleren Polster-Plätzen.

Wenn man an andere bestürmte Film-Serien denkt, kommt einem heute das Schmunzeln. "Conny und Peter machen Musik": Die Jugend-Idole Cornelia Froboes und Peter Kraus waren in den Fünfziger Jahren mit ihren Musik-Filmen die großen Kassen-Magneten. Die fast genauso beliebten "Freddy-Filme" mit dem angeblichen Seemann Freddy Quinn liefen allerdings bei der Konkurrenz im Burg-Theater: Das war der andere Verleih.

Cinemascope machte bald die Bilder wuchtiger. Man konnte sich auf mehr Filmgenuss freuen, wenn nach Werbe-Dia-Schau und Vorfilm der Vorhang vor der Leinwand weiter aufgezogen wurde.  Stereo verbesserte den akustischen Eindruck. Um das Kino auf die Breitwand umzurüsten, wurde das "ALi" 1958/59 umgebaut und auch mit mehr als nur den vorherigen Front-Lautsprechern ausgestattet.

"Die Anker-Lichtspiele hatten den besseren Ton in Eberbach", weiß sich ein alter Kinogänger zu erinnern. Ingenieur Laule hatte mit einem Polstertrick dafür gesorgt, dass die Akustik immer gleich war, egal ob alle Plätze ganz oder nur teilweise besetzt waren. Die Cinemascope-Verbreiterung des Kinos brachte auch noch ein paar Sitzplätze mehr ins "ALi", jetzt 349.

Die Kinos waren beachtete kulturelle Mittelpunkte in einer Stadt. Sogar die Obrigkeit kümmerte sich um die guten Sitten. War ein Film erst ab 18 Jahren freigegeben, war es üblich, dass die Eberbacher Kriminalaußenstelle mit einem Mann im Lodenmantel an der Kasse stand, der sich im Zweifel den Personalausweis zeigen ließ. Die barbusige Hildegard Knef als "Die Sünderin" räkelte sich zu ihrer Zeit also im allabendlich staatlich kontrollierten "ALi".

Als Ingmar Bergmans Sitten-Schocker "Das Schweigen" im Jahr 1964 immerhin zwei Wochen ununterbrochen bei der Konkurrenz im Burg-Theater lief, war sogar die Lehrerschaft des Eberbacher Gymnasiums aufgeschreckt. Pennäler unter 18, die sich heimlich mit Krawatte ins Kino schleichen wollten, trafen an der Kasse auf ihre Pauker. Ein "sarkastisch-diabolisches Grinsen" des Lehrers, so ein damals Ausgesperrter, vereitelte erfolgreich den Einzug der ertappten Pubertären in die Sündenhalle.

Doch die filmischen Höhepunkte zogen auch an Eberbach vorüber. Das Fernsehen und geänderte Freizeitgewohnheiten ließen die kleinen Lichtspielhäuser sterben. Die spätere Renaissance der Kinos in Deutschland, nach einer Welle des Niedergangs, haben die Anker-Lichtspiele nicht mehr miterlebt. Cinemax und Co. haben in Eberbach ohnehin keinen Einzug gehalten. Und 3 D wird es wohl in der Neckarstadt überhaupt nicht in einem Kino geben.

Im Jahr 1972 lief irgendwann einmal still und leise in den Anker-Lichtspielen letzte Film. Das dann noch einzig und allein in Eberbach verbliebene Burg-Theater wurde verkleinert. Die untere Etage dieses Kinos wurde zu einem Einkaufsmarkt. Oben blieben ganze 230 Sitze. Und heute hat Eberbach gar kein festes Lichtspielhaus mehr.

Die Anker-Lichtspiele - nach dem Umbau auf Breitwand.

Schwarzwaldmädel - Der erste Farbfilm  im ALi.
Share by: